Deutsche Leidkultur

Anläßlich des Gedenkens an die Reichspogromnacht hat Wolfgang Weigel in seiner Rede auf dem Platz der alten Synagoge in Paderborn vor Worten wie „Innerer Reichsparteitag“, „Leitkultur“ und „durchrasste Gesellschaft“ gewarnt.
Daraufhin hat sich der CDU-Mittelstandvorsitzende Friedhelm Koch zu Wort gemeldet und den Begriff der Leitkultur verteidigt. Die deutsche Leitkultur baue auf das christlich-jüdische Erbe auf. Dazu zählten auch die Erinnerung an das Schicksal der ermordeten Juden und die Wahrung der Frauenrechte. Die muslimische Frau werde unterdrückt: Das gehöre nicht zur deutschen Leitkultur, so Koch.

Auf diesen verbalen Schwachsinn hat der BDP-Infoladen mit einer Pressemitteilung reagiert, die als Leserbrief veröffentlicht worden ist:

Gewaltige Heuchelei

Betrifft: Kritik von Friedhelm Koch an Wolfgang Weigel, der sich in seiner Gedenkrede zur Pogromnacht gegen den Begriff der deutschen Leitkultur ausgesprochen hatte.

Friedhelm Koch, der Vorsitzende der CDU-Mittelstandvereinigung, hat den Begriff der Leitkultur gegenüber dem diesjährigen Redner beim Gedenktag an die Reichspogromnacht, Herrn Weigel, verteidigt und sich auf „christlich-jüdische Traditionen“ bezogen.

Was genau soll das sein? Das reden von christlich-jüdischen Traditionen stellt eine gewaltige Heuchelei dar. Die christlich-jüdische Geschichte besteht vor allem in der Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung von Juden und ihren Traditionen. Erst nachdem die Nationalsozialisten sechs Millionen Juden erschlagen, erschossen und vergast hatten, begann (auf amerikanischen Druck hin) das, was christlich-jüdische „Versöhnung“ heißt.

Herr Koch wird auch konkreter: er nennt Grundgesetz, die Rechte der Frauen und Glaubensfreiheit als Teil dieser Traditionen. Dabei unterschlägt er, dass Menschen- und Frauenrechte erst mühsam gegen die von ihm hochgehaltenen christlichen Traditionen erkämpft werden mussten, da die Gebote von Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit dem christlichen Machtanspruch entgegenstanden.

Wohin seine Äußerungen führen, davon zeugt die Aussage, dass – wenn überhaupt (!) – Christen in muslimischen Ländern verfolgt würden. Er springt damit auf den Sarrazin-Zug der pauschalen Verächtlichmachung von Muslimen auf. Die Verfolgung von Christen in einigen Ländern dieser Welt wird bei ihm, ebenso wie die Unterdrückung von Frauen, zu einem Wesenszug „des Islam“, während die blutige Geschichte des Christentums und die deutschen Traditionen zu einer positiven Leitkultur aus Freiheit und Menschenrechten umgedeutet werden. Hier werden keine Menschen- und Frauenrechte verletzt, doch nicht bei uns, das ist doch die Spezialität der „Anderen“!

Was Nächstenliebe mit Blick auf den Abschiebeknast heißt

Diese christliche Leitkultur bekommen wir durch den Abschiebeknast in Büren jeden Tag demonstriert. Nächstenliebe heißt hier: Flüchtlinge einzusperren und hin und wieder einmal in Folter und Tod abzuschieben. Dass ausgerechnet eine Rede anlässlich eines Gedenktages an die Ermordung von Juden in Deutschland von Herrn Koch genutzt wird, um auf diese Weise antimuslimischen Rassismus zu verbreiten, stellt eine ungeheure Provokation dar. Wenn das Ihre Leitkultur ist, Herr Koch, dann kann sie uns gestohlen bleiben.

Sandro Azzelini
Für den Bund Deutscher PfadfinderInnen
Paderborn

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